ÜBER DIE POESIE DER ZEICHEN - Skizze zum Werk von Eva Maria Neuper Dr. Elisabeth Voggeneder (Kunsthistorikerin und Kuratorin) In der heiß geführten Diskussion der Linguisten und Sprachwissenschafter, die bis dato über das Entstehen und die Ursachen wie die Bedingungen für das Auftreten der Sprache rätseln, zeigt sich die Aktualität der Thematik in der Beschäftigung mit Sprache im interdisziplinären Kontext. Das weit reichende Bedeutungsfeld von gesprochener Sprache und ihrer abstrahierten grafischen Umsetzung als Schrift wird ebenso im künstlerischen Kontext seit mehreren Jahren unter vielseitigen Gesichtspunkten beleuchtet. Bild, Schrift und Wort bilden hier ein Repertoire bildnerischer Präsentation. In diesem Themenfeld situiert sich auch das Werk von Eva Maria Neuper. Zunächst aus der Beschäftigung mit dem Gegenständlichen kommend fand sie vor einigen Jahren ihr ureigentliches malerisches Gebiet: die Verbindung von Schrift als Zeichen, Abbild des Gesehenen und farblicher Abstraktion. Bereits seit ihrer Kindheit hatte sie neben der Malerei, Sprache und Schrift besonders interessiert. Unterschiedliche Sprachkurse begleiten ihren Lebensweg, der sie zur Kenntnis einer Vielzahl von Schriftsystemen und Zeichen führte. Erst nach einer allergiebedingten Veränderung malerischer Technik, die mit einer inhaltlichen Neuorientierung einher ging – die Autoditaktin arbeitete zunächst in Ölmalerei und figurativ – begann sie die Obsession für Schriftzeichen auch in der Malerei umzusetzen. So entstehen seit 1991 malerische und grafische Werke zwischen Farbmalerei und Typografie. Die meist unbetitelten Bilder in Acryl entfalten sich in monochromen Erdfarben von zartem Beigetönen, satten Terracotta, warmen Ockergelb, leuchtendem Zinnober bis zu tiefem Grau. Die Farbe wird in ihrer materialen Erscheinung ins BiId gesetzt und realisiert sich im Bogen von Transparenz und Opakizität. Dieser abstrakten Grundqualität fügt die Künstlerin Bildfragmente wie Wortpassagen hinzu. Schemenhaft und verschwommen erscheinen Gesichter in der Farblandschaft, bilden Schriftzeichen ein grafisches Muster. Neben der uns vertrauten lateinischen und arabischen Schrift verfügt die Malerin inzwischen über eine Sammlung von über 7000 Schriftzeichen unterschiedlichster Herkunft und Alters. Denn nicht nur die Synthese von soziokulturellen Feldern bildet einen signifikanten Aspekt der Schriftzeichen, auch das Phänomen Zeit wird in diesen spürbar. Nach der amerikanischen Linguistin Ruhlen lautete das erste Wort: tik, mit dem der prähistorische Mensch den Finger bezeichnete. Aus diesem ist das Lateinische digitus (finger) hervorgegangen, ebenso wie das deutsche zeh, in der Folge: zeigen, Zeichen. Zeichen und Zeigen beruhen demnach auf einer Fokussierung des Realen, der ein zeitlicher Prozess zugrunde liegt. Das Vergehen wie das Erscheinen der Dinge erhält im Werk Neupers in diesem Sinne eine neue Interpretation. Unterschiedliche Zeichensysteme, verstanden als Hinweise zwischen Bezeichnetem und Bezeichnendem bilden letztendlich den Ausdruck einer spezifischen Sicht auf die Welt. Wie das Schriftzeichen selbst erlangen diese erst durch ihr Zusammenspiel Bedeutung; Ein Zusammenspiel, das sich im Werk Eva Maria Neupers im höchsten Maße poetisch zeigt. |
DER RAUM DES VORGESCHICHTLICHEN Wenn ich die Bilder von Eva Maria Neuper betrachte, dann empfinde ich das Phänomen des Raumes. Gehe ich jedoch tiefer in diesen Raum hinein, entdecke ich mich in einem Vor-Raum, in einem Zwischen-Raum, ja in einem Zwischenreich, das, von Schleiern durchwebt, einer durchsichtigen Pforte gleicht – an der Grenze zwischen dem Sein und dem Nichts. Eva Maria Neupers Bilder bieten keinen Halt im Figurativen, aber auch nicht im sogenannten Abstrakten, die Bilder veranschaulichen eher den Zustand des Noch-nicht-Entschiedenen, sofern man hier von einem Zustand sprechen kann, sie verräumlichen eine Art vorgeschichtlicher Schwebe als luftigen Heimatort geschichtsmächtiger Symbole menschlicher Verständigung – der Schriftzeichen. Die von Eva Maria Neuper gemalten Schriftzeichen sind nicht einfach da, sie sind nicht als Faktum vorhanden, sie werden nicht postuliert, sondern sie treten in Erscheinung, sie scheinen auf, tauchen auf und tauchen durch, sie sickern durch ätherische Schleier und bahnen sich ihren Weg durch Aussparungen und Lücken, die die Malerin für sie gelassen hat. – Oder sie überschreiben wie in mittelalterlichen Palimpsesten mit dem entschlossenen Schwung einer Kalligraphie das Dagewesene. Das Bild wird gleichsam zum geschichtsfreien Echoraum, in welchem die geschichtlichen Signaturen verschiedener Zeiten widerhallen. Das Zeichen ist ein Zeigen. Das Zeichen zeigt, und während es uns die Welt erschließt, bleibt es als Zeigendes im Hintergrund, gleich einem Zeigefinger (wir starren ja nicht auf den Zeigefinger, sondern dorthin, wohin er zeigt). Neuper rückt aber die zeigenden und welterschließenden Zeichen in den Vordergrund, läßt sie ans Licht treten, ruft ihnen zu „Zeigt euch selbst!“, und weil wir sie nicht entziffern müssen, und weil wir über sie nicht zu rätseln brauchen, dürfen sie Schönheit und Rätsel entfalten. Eva Maria Neuper hat für sie das Fluidum geschaffen, in welchem sie leibhaftig werden dürfen. Es könnte jedoch sein, daß die Schriftzeichen, losgelöst aus alten schicksalhaften Zusammenhängen, befreit vom Bedeutungszwang, auf der Suche nach einer neuen Bestimmung sind, im vorgeschichtlichen Fluidum strecken sie sich einer neuen Geschichte entgegen. Aber auch Gesichter hat Eva Maria Neuper in das Zwischen-Reich gesetzt. Wie die Schriftzeichen haben auch sie ihre alte Geschichte verlassen, haben sich losgelöst aus vertrauten Welten. Dergestalt entschicksalt wirken sie geisterhaft und ätherisch im Raum schwebend, als wären sie auf der Suche nach der eigenen Geschichte, nach sich selbst, oder als würde sich ein durchlebtes Schicksal, eine weit zurückliegende Vergangenheit als hauchdünne Erinnerung in ihrem Antlitz spiegeln. Diese Ausstellung beschäftigt sich mit dem Zwischen-Raum. Jener ist in seinem Wesen eigentlich nulldimensional, trägt jedoch die Potenz einer Dimension in sich – pränatal sozusagen. Als Gemälde wird die Nulldimensionalität in die zweite Dimension gedrängt, durch bewußt ausgearbeitete Oberflächenstrukturen wird die dritte Dimension angedeutet, und jetzt – mit Hilfe von Claudius Duschek und moderner Technik – drängt dieser Zwischen-Raum in den dreidimensionalen plastischen Raum hinein. Als würde den darin sich enthüllenden Zeichen zugerufen werden: „Zeigt euch! Kommt ans Licht! Kommt auf die Welt! Sucht euch einen neuen Ort. Verlaßt das Zwischen-Reich, tretet ein in den Raum der Geschichte und seid ein Teil unseres Lebens.“ Ich wünsche Eva Maria Neuper, daß Ihr Schaffen, Ihr Werk und die aus den Schichtungen der Zeit freigelegten Schriftzeichen einen festen Boden in unserer Welt haben, auf daß Erinnerung und Gedächtnis, Zukunft und Bestimmung vereint schlagen im Herzen der Gegenwart. |
ZEIT FÜR WAHRNEHMUNG Die bis zu 2m großen Werke in Acrylmischtechnik auf Leinwand – oder auch kleinste Arbeiten auf Papier – verbinden den malerisch-informellen und den graphisch-konkreten Aspekt ihres Gesamtschaffens, der sich seit 1991 mit unzähligen Schriftzeichen auseinandersetzt. Die in den Bildern zu entdeckenden Strukturen und Schriftzeichen erinnern an etwas Bleibendes, das der Vergänglichkeit der Zeit trotzt und Bestand hat. Durch die Einarbeitung eigener Bleistiftzeichnungen, bringt die Künstlerin ihre graphischen Fähigkeiten als emotionale Momentauf-nahmen in Ihre Arbeiten ein.“ |
ZEIT FÜR WAHRNEHMUNG Dem Bildkonzept liegt die Einbindung diverser Schriftzeichen zu Grunde, mit welchen sich die Künstlerin seit langem beschäftigt. Aus über 350 Alphabeten diverser, teils nicht mehr existenter Sprachen entlehnt Neuper ausschließlich Schriftzeichen, die ins lateinische Alphabet übertragbar sind – mittlerweile entstand eine Datenbank mit über 7.000 Zeichen. Die Schriftzeichen beziehen sich in ihrem Symbolgehalt nicht auf eine abstrakte, zeitliche Dimensionswiedergabe, sondern auf real Vergangenes bzw. Gegenwärtiges, interagieren jedoch nicht immer und scheinen fein durch diverse Farbschichten. |
SCHRIFT - ZEICHEN Eva Maria Neupers oft archaisch anmutende Arbeiten in Acrylmischtechnik auf Leinwand oder Papier entstehen in vielen sich überlagernden Schichten, in denen die Künstlerin eigene Bleistiftzeichnungen collagiert und wieder teilweise lasierend übermalt. Die langjährige Beschäftigung mit Schriftzeichen aus unterschiedlichsten Ländern und Zeiten hat dazu geführt, dass sie diese Art von Zeichensprache in ihr künstlerisches Schaffen integriert und und zu einem wesentlichen Bestandteil ihrer Bilder gemacht hat. Mit expressiv-bewegten Duktus und zarten sich überlagernden Farbschichten wird das Licht eingefangen und in musisch-kreative Bildform gebracht. Manche ihrer Arbeiten sind trotz monochromer und reduzierter Farbgebung kräftig und energievoll und erinnern mit ihrer Konzentriertheit an die Zenmalerei alter chinesischer Meister. |